Ein See im Walde

Die Kormorane

So kehren wir vorerst zu den Kormoranen zurück und finden ihre Jungen bereits in stattlicher Größe, bedeckt mit einer schwarzen Daunenwolle, in der es ihnen mächtig warm ist, so daß sie in einem Hecheln bleiben und derart mit den Kehlen flimmern, daß es schon darum notwendig wird, mit allerkürzesten Belichtungszeiten zu arbeiten. Auch ihr Verlangen nach Atzung ist ständig rege, und ungestüm empfangen sie ihre Eltern, wenn diese von einem Fangflug heimkehren. Nun bekomme ich viele Fütterungen zu sehen, hüben und drüben. Und ich wünsche mir lebhaft, sie filmen zu können, um es recht vielen vor Augen zu führen, wie sonderbar es dabei zugeht. Aber so gut es geht, fange ich den Vorgang in Einzelaufnahmen ein. Und hier ist der Ablauf:

Der Alte hat noch nicht die Flügel angelegt, als er auf dem Horstrand fußt, da stürzen die Jungen ihm schon mit lautem Haschrii-Geschrei entgegen. Sie sind tüchtig gewachsen und stehen ihren Eltern an Größe nicht mehr viel nach. Es fällt ihnen darum nicht schwer, sich zum Schnabel des Alten aufzurecken. Doch der Alte macht seinen Hals recht lang, damit sie seinen Schnabel nicht erreichen, und als sie ihm dennoch nahekommen, schlägt er die Jungen ab. Darum sitzen sie einen Augenblick später um ihn herum wie folgsame Kinder vor einer Respektsperson. Sie möchten ihre Zudringlichkeit gleich wieder fortsetzen; aber der Alte hält sie in Schach. Wenigstens für ein Weilchen; dann geht ihr Bestreben weiter, den Schnabel des Elterntieres zu berühren. Noch sträubt sich der Alte dagegen. Er wendet den Kopf nach rückwärts und schaut in die Gegend, als ginge ihn die bettelnde Gruppe seiner Jungen nichts an. Aber ob er nun einmal nicht auf der Hut war, oder ob es sein Wille war, daß es zu einer Berührung kam - plötzlich faßt ein Jungkormoran in den Schnabel des Alten. Es geschah hoch über dem Horst; denn beide haben den Hals aufgerichtet. Und dort oben beginnt das Eindringen des Jungen.

Kormoran,  Foto: Georg Hoffmann Kormoran,  Foto: Georg Hoffmann
Gleich stürzen sie ihm entgegen.
Da endlich geht es hinein.

Noch geht es in heftigem Schütteln hin und her, als wollte der Alte den Eindringling loswerden. Nach einem kurzen Durcheinander, das nach einem Zweikampf aussieht, gibt der Alte den Weg frei. Er öffnet den Schnabel ganz, und nun schiebt der Jungvogel seinen Kopf völlig in den Hals des Alten, dem jetzt der Hals des Jungen wie eine dicke, schwarze Wurst aus dem Schnabel hängt. Nun vollführt diese Halsvereinigung die tollsten Verrenkungen. Bald befindet sie sich am Boden des Horstes, bald wölbt sie einen schwarzen Bogen. Das Junge scheint immer tiefer hineinkriechen zu wollen, während den Alten scheinbar das Widerstreben gepackt hat. Plötzlich lösen sie sich voneinander. Doch ist damit der Vorrat an Nahrung im Kehlsack des Alten nicht erschöpft. Der gleiche Jungvogel kommt noch einmal dran. Außerdem erhält der andere gleichfalls zweimal Futter, und auch für den dritten fällt noch eine Fütterung ab.

Nach solchen Fütterungen steht eines Tages der Alte ein wenig seitwärts des Horstes auf den Zweigen der Baumkrone. Da sehe ich vom See unten einen Kormoran aufsteigen und bald danach auf der anderen Seite des Horstes fußen. Ein Junges bettelt ihn an. Es scheint so, als sei dieses der andere Elternteil, und als könne sich der anwesende Elter nun als abgelöst betrachten. Er fliegt auch ab. Jedoch tut er das nur, um in einem Bogen nach draußen schnell zum Horst zu gelangen. Er fußt dem anderen, eben angekommenen Kormoran gegenüber und rennt jetzt mit unglaublicher Fixigkeit, die Nackenfedern gesträubt, über den Horst auf den anderen los, der sofort flieht. Also hat hier ein Fremder versucht, sich in das Familienleben dieses Paares zu mischen. Und tatsächlich sind in diesen Tagen immer wieder viele Kormorane in der Kolonie zu Gast. Darum wird auch dem anderen Horst der Besuch eines Fremdlings, der interessiert in den Horst schaut, bis der anwesende Alte ihn vertreibt.

Auf dem nahen Horst kommt nach dem Zwischenfall mit dem ungebetenen Gast dann wirklich der andere Elternteil zum Horst. Der anwesende Kormoran bemerkt ihn von weitem und legt sich plötzlich zwischen seine Kinder, um den Ankommenden gleichfalls anzubetteln. Aber der andere läßt sich auf nichts ein und beginnt, ein Junges zu füttern. Da besinnt sich der Alte scheinbar darauf, daß er nicht auf die Seite der Nehmenden, sondern auf die der Gebenden gehört und vollführt seinerseits nun noch zwei Fütterungen, trotzdem er vor einer halben Stunde mit der entschiedenen Geste aufgehört hat: Ich habe nichts mehr! Jetzt bleiben beide Altvögel eine Weile auf dem Horst, stehen aufrecht mit weit geöffneten Schnäbeln und hecheln wie immer.

Kormoran,  Foto: Georg Hoffmann
Das Elternpaar steht hechelnd auf dem Horst.

Die Fütterungen auf dem anderen Horst spielen sich nicht anders ab, und viele rollen in den Ansitztagen vor meinem Auge ab. Zuerst erlebe ich sie ganz intensiv mit, dieses Ringen, Sträuben und Eindringen, danach das Würgen, Sticken und Verrenken. Ich stellte mir dann wohl einen Vater von zehn Kindern vor und sagte im Stillen: Wie gut ist es doch, daß wir Menschen unsere Kinder nicht auf die gleiche Weise satt machen müssen! Aber auch die alten Kormorane hatten von einem solchen Betrieb scheinbar dann auch genug; denn sie wendeten sich von ihren Jungen ab, um vor ihrer Zudringlichkeit Ruhe zu haben. Dann bettelten sich die jungen Kormorane wohl gegenseitig an und versuchten, sich die Köpfe in den Hals zu stecken. Oder aber es kam zu einem wirklichen Ruhepunkt. Alle gaben sich den verschiedensten Verrichtungen hin. Der eine trieb Gefiederpflege, der andere legte sich hin und ruhte, der dritte schaute zum See hinaus. Und immer wieder übte einer von ihnen das Flügelschlagen. Denn längst schon hatten die Schwingen zu sprießen begonnen.

Erst nach 36 Tagen verließ zum ersten Male ein Jungkormoran den elterlichen Horst. Er war an der hellen Unterseite weithin kenntlich. Es herrschte starker Wind, der das Jungtier rasch immer höher hinauftrieb. Und einer der beiden Alten folgte seinem Jungen, wohin es auch schwenkte. Offensichtlich schwebte er in einer gewissen Besorgnis und war nicht gewillt, das Junge aus den Augen zu lassen. So ist es denn auch wieder glücklich auf dem Horst gelandet...

Vorsicht - Hornissen

Nach einem gewissen Zeitraum zieht es mich noch einmal zur Insel zurück, Noch immer fliegen ja die Reiher und Kormorane ab und an, und ich möchte noch einmal unter ihnen sein. Vielleicht lassen sie noch irgend etwas Bedeutsames sehen, und so fahren wir beide, meine Frau und ich, zur Insel, wo ich sofort zu meinem Versteck emporklettere. Ich habe den Rucksack mit der großen Kamera auf dem Rücken, und es ist jedesmal ein umständliches Hineinkriechen, wenn die Leinwand von unten aufgeknotet ist. Dann sperrt der Rucksack; und wenn er erst die Öffnung passiert hat, dann ist es so gut wie geschafft. Ich beschreibe das etwas ausführlicher, damit es verständlich wird, welches Glück für mich darin lag, daß mein Rucksack eben noch nicht den Engpaß überwunden hatte, und daß ich darum meinen Kopf noch sehr schnell wieder zurückziehen konnte. Wie wäre dieses Abenteuer sonst wohl ausgelaufen!

Also, wie ich an diesem Tage meinen Kopf in das Versteck stecke, da gewahre ich dort drinnen zu meinem Entsetzen einen recht vorgeschrittenen Bau von - Hornissen! Und etwa zehn dieser Tiere umsummen ihn. Dieses erkennen und sofort auch einen Stich auf dem Scheitel spüren, das ist eins. Schleunigst ziehe ich meinen Kopf aus der Leinwand und rutsche zwei Meter am Stamm hinab. Verdammt, was nun? Aufgeben? Nein! Ich werde sie vertreiben. Ich lasse einen Bindfaden zum Boden hinab und gebe meiner Frau auf, einen starken Knüppel anzubinden. Den ziehe ich nach oben und beginne mit der Austreibung der Hornissen. Diese umbrummen mich immer wütender. Natürlich ist es ein aussichtsloses Beginnen, Hornissen oder Wespen von ihrem Bau zu vertreiben. Selbst wenn man ihn gänzlich beseitigt, kehren sie doch immer zu diesem Platz zurück. Und so gebe ich denn schließlich den Bitten meiner Frau nach und entschließe mich zum Abstieg, in der Hauptsache jedoch deshalb, weil die Folgen des Stiches sich bemerkbar machen. Das Gesicht brennt so eigenartig, und die Lippen werden dick. Bei den untersten Ästen versagen mir die Kräfte, und doch ist noch der lange Schaft der Kiefer zu überwinden. Ich verschnaufe darum auf dem letzten Ast, und mir ist mordsübel zumut. Da ich hier oben aber nicht sitzen bleiben kann, raffe ich mich noch einmal auf und rutsche in langen Strecken den Stamm hinunter. Dort öffne ich nur noch den Karabinerhaken des Halteseiles und sinke zu Boden. Aus! Nicht einen Schritt schaffe ich mehr. Die Fuß- und Handgelenke sind steif geschwollen. Die Ohren sind groß und hart. Rings um den Mund fühlt es sich wie ein Brett an und ist blau und grün gefärbt. Und das Herz will mir fast versagen. Ein Übelsein hat mich erfaßt, daß ich kaum weiß, ob ich wache oder schlafe. Es ist mir auch alles ganz gleichgültig. Meine Frau sitzt neben mir und weint. Sie läuft zum Wasser und macht ein Tuch naß und legt es mir auf die Stirn. Was soll sie hier auf der Insel tief im Walde beginnen? Von wo Hilfe holen? Auch will sie mich in diesem Zustand nicht allein lassen. Es dauert nahezu fünf Stunden, bis ich mich zum Boot schleppen kann, mit dem meine Frau mich nun zum hohen Ufer fährt. Hier im Schatten geht es mir schon viel besser. Ich gehe später zum Forsthaus und bekomme dort Kaffee, und zwei Stunden später rudern wir den Waldbach an, weil ich durchaus nach dem jungen Schreiadler sehen will...

Schwarzstorch,  Foto: Georg Hoffmann
Der Schwarzstorch steht auf der Sandbank.

Alle Fotos: Georg Hoffmann

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