Vor 1900 ging es dagegen noch recht gemächlich
zu, wie Diagramm 1 zeigt. Bis 1894 wurden nur rund 10% der heutigen Stadtfläche4
zugebaut. Damit verglichen ist das „Fortschrittstempo“ heute sogar 26mal
so hoch!
Sachzwänge
Nun wird sich allerdings irgendwann das rasante Tempo
verlangsamen. Wenn der Freiraum zu Ende geht, werden die Grundstückspreise
in astronomische Höhen steigen. Es ist aber im Grunde auch unerheblich,
wann der letzte Quadratmeter unter Zierrasen und Ökopflaster verschwinden
wird - wir werden es jedenfalls nicht mehr erleben.
Grund genug, zur Tagesordnung überzugehen. Schließlich
haben wir genügend Probleme, die uns hier und heute drücken:
Arbeitslosigkeit, Geschäftspleiten, sinkende Steuereinnahmen, leere
Gemeindekassen, wachsende Schuldenberge. Unsere gewählten Vertreter
in den Stadt- und Gemeinderäten sind nicht zu beneiden. Eine Meldung
über wegbrechende Einnahmen jagt die andere. Der Pleitegeier droht und
zwingt zum Handeln. Wo lassen sich schnell neue Geldquellen anzapfen?
Städtische Grundstücke werden als Bauland verkauft. Vor allem
aber müssen mehr Menschen her, denn über die Schlüsselzuweisungen
gibt es dringend benötigte Steueranteile in die kommunalen Kassen5.
Fruchtfolge und Entmischung
Also müssen neue Baugebiete ausgewiesen werden.
Für die Bauern an den Ortsrändern ist das die ersehnte goldene Fruchtfolge.
Sie verkaufen gern. Wer kann ihnen das verdenken, wenn inzwischen fast
der hundertfache Preis des Ackerlandes fürs Bauland gezahlt wird? So sind
in der Vergangenheit die Freiflächen geschrumpft im gleichen Maße
wie die Orte gewachsen sind. Und so wird es weiter gehen. Denn in den
Städten des Ruhrgebietes, allen voran Dortmund, gibt es genug Interessenten.
Die Frage ist höchstens, wer es sich leisten kann, draußen zu bauen.
Schon klagen die Großstädte nicht nur über den Einwohnerschwund,
sondern auch über die soziale Entmischung6: Arm muss bleiben - Reich zieht weg, ins
Grüne. Wenn dann die nächste Siedlung davor gesetzt wird, ist
wieder ein Stück vom Grünen weg und der Rest ist umständlicher
zu erreichen.
Gute Zeiten - schlechte Zeiten
Der Flächenverbrauch hat also Ursachen. Städte
und Gemeinden müssen in diesen schwierigen Zeiten schließlich lebensfähig
bleiben. Da kann man wohl nichts machen, außer auf bessere Zeiten hoffen.
Wirklich?
Genau besehen stellt sich das etwas anders dar. Bleiben
wir beim Beispiel Schwerte (Diagramm 2). Hier war das Tempo des Flächenverbrauchs
von den siebziger bis in die neunziger Jahre, von kleinen Schwankungen
abgesehen, annähernd konstant - also in guten, wie in schlechten
Zeiten. Das zeigen die von der Stadt herausgegebenen statistischen Zahlen.
Von 1986 bis 1992 lieferte sich der Kreis Unna mit Schwerte beim Wachstumstempo
ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Seitdem lässt Schwerte den Kreis souverän
hinter sich7 – und muss trotzdem die Kröte Haushaltssicherungskonzept
schlucken. Schnelles Wachstum hat also nicht geholfen. Aber mehr Einwohner
müssten doch die Sorgenfalten der Kämmerer glätten? Wäre
es so, müsste es ja einer Gemeinde um so besser gehen, je mehr Einwohner
sie hat. Das ist aber ganz offensichtlich nicht der Fall. Dortmund hat
das zwölffache an Einwohnern und muss trotzdem sein Haushaltssicherungskonzept
in Arnsberg zur Genehmigung vorlegen.
Es ist auch nicht anzunehmen, dass eine Verbesserung
der finanziellen Situation den Flächenverbrauch in Zukunft reduzieren
würde. Eher ist das Gegenteil zu erwarten. Das Statistische Bundesamt
hat sogar erkannt: Je höher das Wirtschaftswachstum, um so schneller
verschwindet die Freifläche.8
Einsichten ohne Eindämmung
Das Landschaftsgesetz NRW9 stellt sogar
fest, dass Landschaft und Natur Lebensgrundlagen des Menschen und Voraussetzung
für seine Erholung sind. Gleichwohl wird sofort abgeschwächt: „Die...
Anforderungen sind untereinander und gegen die sonstigen Anforderungen
der Allgemeinheit an Natur und Landschaft abzuwägen". Diese
Abwägung ist in der Vergangenheit fast immer zugunsten der „sonstigen
Anforderungen“ erfolgt und hat zum gegenwärtigen Tempo des Landschaftsverbrauchs
beigetragen. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Hier
steckt ein wesentlicher Schwachpunkt eines sonst recht guten und fortschrittlichen
Gesetzes.
Auch der Entwurf des Gebietsentwicklungsplans
erläutert: „Mit jeder Freirauminanspruchnahme wird der verbleibende
Freiraum immer knapper und wertvoller. Auf noch geringerer Fläche
muss er seine Komplementärfunktion zum Siedlungsraum erfüllen.
Eine wichtige Voraussetzung für die Erhaltung und Entwicklung funktionsfähiger
Freiräume ist die Sicherung eines zusammenhängenden Freiflächensystems.
Freiraum darf insbesondere im Verdichtungsraum des Ruhrgebietes keine
Restgröße mit zufälligem Flächenzuschnitt sein“. Auch hier wird
das Problem wohl erkannt – man vermisst aber entsprechend konsequentes
Handeln.
Wer, wenn nicht wir Wähler?
Politik und Verwaltungen werden von sich aus beim Flächenverbrauch
nicht sparsamer werden. Sie stehen unter Druck. Von der Landes- und Bezirksregierung
ist erfahrungsgemäß auch keine Hilfe zu erwarten. Vermeintliche wirtschaftliche
Entwicklungsnotwendigkeit wird hier immer Vorrang haben. Verbale Appelle,
mit dem Freiraum sparsam umzugehen, hat die Landesregierung schon vor
Jahrzehnten losgelassen – ohne jeden Erfolg. Denn
es wird am Geschäft mit Grundstücken und am Bauen gut verdient.
Grundstückseigentümer, Grundstücksmakler, Bauträger,
Planungsbüros, Banken, Bauunternehmer sind die Gewinner.
Wenn sich am galoppierenden Flächenschwund etwas
ändern soll, müssen wir selbst Druck ausüben. Den meisten
Menschen ist gar nicht bewusst, dass sie und ihre Nachkommen etwas ganz
Entscheidendes verlieren, nämlich Landschaft und Natur, die Möglichkeit
zu einem stillen Spaziergang ins Grüne. Nur öffentliche Meinung
kann die Politik zum Umdenken veranlassen.
Deshalb nutzen Sie die Möglichkeiten: Sagen Sie
Ihre Meinung, wenn in öffentlichen Veranstaltungen über Planungsvorhaben
gesprochen wird, schreiben Sie Leserbriefe an die Zeitungen. Gründen
Sie Bürgerinitiativen und nehmen Sie sich einen guten Rechtsanwalt,
wenn Ihnen die nächste Siedlung vor die Nase gesetzt werden soll.
Das ist Ihr gutes Recht. Lassen Sie die anderen ruhig sagen, Sie handelten
doch nur egoistisch; Sie hätten ja selbst hier gebaut und wollten
nun anderen das Bauen verwehren. Diejenigen, die so argumentieren, sind
in der Regel die größeren Egoisten, denn sie wollen ja auf Kosten
der Landschaft mit den Grundstücken verdienen. Der Flächenfraß
muss endlich gebremst werden. Unsere Nachkommen sollen schließlich noch
eine lebenswerte, eine erlebenswerte Umwelt vorfinden.
Dieter Ackermann
1
DIECKMÄNNKEN, N. (1997): Deutschland braucht in 81 Jahren seine zweite
Etage, Naturreport 1997, S. 34
2 Bezirksregierung Arnsberg (2001): Gebietsentwicklungsplan
für den Regierungsbezirk Arnsberg, Teilabschnitt Oberbereich Dortmund
– westlicher Teil (Dortmund/Kreis Unna/Hamm), GEP Entwurf Dezember 2001,
S. 33, S. 40
3 Stadt Schwerte, Amt für Stadtentwicklung und Umwelt:
“Schwerte 1976“ und folgende.
4 LÖLF NRW (1988): Ökologischer Fachbeitrag zum Landschaftsplan
Schwerte Kreis Unna, S. 51
5 Ruhr Nachrichten Nr.15 vom 18.10.2001: Jeder Bürger
weniger kostet 1600 Mark im Jahr.
6 GEP Entwurf (2001), S. 11
7 Angabe des Amtes für Statistik und Wahlen Kreis Unna.
Für 1976 und 1982 liegen dort keine Zahlen vor.
8 DIECKMÄNNKEN, N. (1997) S. 34
9 Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz NRW: Landschaftsgesetz, Stand: 2000, § 1 (1) und
(2)
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Diagramm 2:
Zunahme des Anteils bebauter Fläche in Schwerte ab 1976 und im Kreis
Unna ab 1986 bis 2000
Nachdenken und Umdenken
Ob man das Tempo, mit dem unsere Landschaft und
Natur verschwindet, als besorgniserregend empfindet oder es verharmlost
– allein die Tatsache, dass der Freiraum früher oder später
zu Ende gehen wird, sollte nachdenklich stimmen. Haben wir uns in
unserer von Fernsehen, Werbung und Konsumzwängen so massiv
beeinflussten Zeit schon zu weit von der Natur entfernt oder können
wir noch umdenken? Was verlieren wir denn da eigentlich? Bekannte
Leute haben schon früher über die Natur und ihr Empfinden
nachgedacht. Hier nur ein paar aus dem textlichen Zusammenhang gelöste
Fragmente:
- Friedrich Nietzsche: „In mancher Naturgegend
entdecken wir uns selbst wieder...
- Max Reger: „Dieser See ist meine Musik...“
- Gustav Mahler: „Hier ist es wunderherrlich und
repariert ganz sicher Leib und Seele...“
- Konrad Lorenz: „Die beste Schule, in der ein
junger Mensch lernen kann, dass die Welt einen Sinn hat, ist der
unmittelbare Umgang mit der Natur...“
- Heinrich Heine: „Ich bestieg Hügel und
Berge, betrachtete, wie die Sonne den Nebel zu verscheuchen suchte,
wanderte freudig durch die schauernden Wälder... Gott hat den
Menschen erschaffen, damit er die Herrlichkeit der Welt bewundere.“ |
Die umliegenden Städte und Gemeinden
werben Dortmund die Einwohner ab
Leserbriefe tragen zur öffentlichen
Meinungsbildung bei
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