Kraniche zurück  

Die Kraniche ziehen

Kraniche (Foto: AGON/Ackermann)Wenn das Wollgras graue Kätzchen aus den Bülten schiebt, die Porstbüsche sich röter färben, die Birkhähne trommeln und die Himmelsziegen meckern, dann klingt es eines schönen Abends aus der Höhe herab auf das Dorf hinunter, und das junge Volk, das sich des Frühlings freut, lacht und sagt: "Unsere Musikanten sind wieder da".

Hermann Löns schrieb diese Zeilen und seine Musikanten waren die Kraniche. Durch das laute Trompeten werden wir zum Glück aufmerksam gemacht, wenn die großen grauen Vögel in Keilformation wieder durch das Ruhrtal ziehen. Beim Heimzug, wenn es in die Brutgebiete nach Skandinavien oder Norddeutschland geht, sind sie für uns die Frühlingskünder. Im Herbst, wenn sie wieder wegziehen in ihr Winterquartier nach Spanien oder Nordafrika, beschleicht uns Wehmut. Die schöne Sommerzeit ist dann vorbei, die Tage werden kürzer, der Winter steht vor der Tür.

Der Wegzug

Gut 3900 Kraniche werden in jedem Herbst beobachtet, wenn sie südwestwärts durch das Ruhrtal ziehen. Die Zahl ist ein Mittelwert – in Wirklichkeit schwanken die Zahlen sehr stark. Extrem war es in zwei aufeinanderfolgenden Jahren: 1994 über achttausend, 1995 gerade mal gut hundert. Die Tabelle zeigt die zusammengefaßten Meldungen der einzelnen Beobachtungsjahre. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die Zahlen nur scheinbar bis auf die letzte Stelle genau sind. Tatsächlich entstanden sie durch einfache Addition gezählter und geschätzter Trupps. Bildet man Mittelwerte der Kranichzüge, erhält man eine mittlere Truppstärke von etwa hundert Vögeln . Übrigens bedeuten die Zahlen hinter den Pluszeichen zusätzlich festgestellte Trupps, deren Stärke aber nicht bekannt ist. Meist waren das nächtliche Züge, die nur gehört wurden. Nimmt man an, dass auch nachts rund hundert Kraniche auf einen Zugverband kommen, müsste man zu jeder Jahressumme noch eine "Dunkelziffer" von 100 mal x addieren, so daß aus den 3900 dann gut 4300 würden. Unterstellt man, daß nur verhältnismäßig wenige der nächtlichen Züge überhaupt auffallen, dann sind die genannten Zahlen sicher untere Grenzwerte.

Wann und wie sich der jeweilige Heim- und Wegzug abspielte, zeigt die Tabelle Zusammenfassung Kranichzüge.

Der Heimzug

Während sich der Wegzug breit aufgefächert über einen durchschnittlichen Zeitraum von zwei Monaten abspielt, geht der Heimzug erheblich konzentrierter vonstatten. Auch Brose (1989) weist auf diesen Umstand hin. Das Ende des Heimzuges liegt fast immer im März. Nur einmal, 1997, beobachtete F. Ostmann am 7. April nach fast zweiwöchiger Zugpause einen Trupp von dreihundert Kranichen. Die Tabelle "Zusammenfassung Kranichzüge" zeigt Einzelheiten zum jeweiligen Heimzug.

Der Heimzug kann schon Ende Januar, Anfang Februar beginnen. Ob die zwanzig nordwärts ziehenden Kraniche, die M. Tiedtke am 7. Januar 98 beobachtete, tatsächlich auf dem Heimzug waren, ist nicht zweifelsfrei zu klären. Vielleicht war es auch ein Trupp Nachzügler auf dem Wegzug, der zur Orientierung oder um Höhe zu gewinnen, eine große Schleife flog. Aus unserer Froschperspektive ist ja meist nur ein kleiner Teil des Himmels zu übersehen.

Schwankende Zahlen

Merkwürdig erscheint, daß beim Wegzug durchschnittlich achtzehn Prozent mehr Kraniche beobachtet werden als beim Heimzug. Der Grund ist nicht restlos geklärt. Sicher spielen dabei auch die Verluste auf dem Zug und im Winterquartier eine Rolle. Ob noch andere Einflüsse hinzukommen, bleibt Spekulation. Aus den Zahlen der Tabellen kann man beim Heimzug im Vergleich zu den Tagbeobachtungen einen höheren Anteil nächtlich ziehender Trupps ableiten. Aber bei der Feststellung nächtlicher Züge ist der Zufall auch stärker beteiligt als am Tage. Nach Auswertung auch älterer Literatur stellt Knoblauch (1984) fest, daß in Norddeutschland viel mehr Heimzüge als Wegzüge registriert wurden, in Süddeutschland war es genau umgekehrt. Westfalen und eben auch Schwerte liegen in einer Überlappungszone, in der der Effekt nur abgeschwächt auftritt. Einer Klärung bedarf aber vor allem die große Schwankung der Zahlen von Jahr zu Jahr, sowohl beim Heimzug als auch beim Wegzug. Sie ist auch in der Arbeit Broses (1989) und, nicht ganz so extrem aber auch deutlich, in den Auswertungen Knoblauchs (1984, 1990) zu finden. Wahrscheinlich ist die so einfache Vorstellung doch falsch, daß sich dieselben Kraniche jedes Jahr auf dem demselben Zugweg von einer zur nächsten bekannten Landmarke "hangeln". Sicher kennen die Kraniche mehrere Zugwege und der gewählte Weg hängt vom Wetter und davon ab, welche "Führungspersönlichkeit" gerade an der Spitze des Trupps fliegt. Klar scheint inzwischen auch zu sein, dass der Hauptzug sich meist weiter südlich abspielt. Besonders viele Meldungen kommen aus der Gegend um Marburg. Diese Züge berühren Westfalen erst gar nicht.

Interessant wäre, ob zum Beispiel 1995, als bei uns nur ganz wenige Kraniche auf dem Wegzug beobachtet wurden, anderswo eine entsprechende Häufung auftrat. Vielleicht gibt es in dem sicher sehr umfangreichen noch nicht ausgewerteten Zahlenmaterial für ganz Westfalen und darüber hinaus entsprechende Hinweise. Horst Michaelis, Mettingen hatte sich vorgenommen, über die Zeit vom Wegzug 1988 bis zum Wegzug 1998 in Westfalen zu berichten. Er hat den Plan längst wieder fallen gelassen.

Dafür haben wir die Kranichzüge über Schwerte für einen Zeitraum von 30 Jahren ab 1979 ausgewertet und interpretiert:
30 Jahre Kranichzug

Zum Schluß noch einen herzlichen Dank an alle Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt und in der Umgebung, die uns ihre Kranichbeobachtungen telefonisch oder schriftlich mitgeteilt haben.

Dieter Ackermann


Literatur:

  • BROSE, W. (1989): Über Flächen, über Seen: Der Kranich – Natur in Schwerte, AGON Schwerte, 1989
  • KNOBLAUCH, G. (1984): Zum Durchzug des Kranichs (Grus grus) in Westfalen – Charadrius 20, Heft 4, 1984
  • KNOBLAUCH, G. (1990): Kranichzug über Westfalen – Charadrius 26 Heft 4, 1990