Fischadler und Schreiadler
Fischadler werden beringt
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Junge Fischadler im Horst |
Es war damals vor Jahren meine erste Fischadlerberingung überhaupt. Der Horst steht noch heute drüben an der Widlungbucht des langen Sees und ist Jahr für Jahr besetzt. Dort hat man von einem alten Bestand ein paar einzelne, hohe und knorrige Kiefern am Ufer stehenlassen. Die stärkste von ihnen neigt sich über den Schilfrand und biegt nur nach der Seeseite hin gewaltig dicke und lange Äste herab. Der Tag war sehr heiß, und es kostete mich viel Mühe und Schweiß, den Baum zu erklettern. Als ich mich mit der Überwindung der Äste abmühte, erschreckte mich plötzlich ein seltsames Getöse hinter meinem Rücken, und ich fühlte mich gestreift. Ehe ich mich umsehen konnte, brauste einer der Adler schon seitlich davon. Aha, dachte ich, jetzt greifen die Adler an! Und wirklich folgte nun Stoß auf Stoß. Die Adler stiegen hoch wie zu einem Jagdstoß, lockerten die blaugrauen Fänge und stießen in rasender Geschwindigkeit mit lautem Sausen auf meinen Kopf zu und mit dem gleichen Schwung daran vorbei. Bssss - stieß das Männchen von der einen Seite auf mich zu. Bssss - brauste das Weibchen von der anderen Seite heran. Sie stießen abwechselnd und erlahmten in ihrem Kampfeseifer nicht. Es ist bekannt, was die Fischadler in dieser Art zu stoßen leisten, wie ungeheuer flink sie sein müssen, um den schnell davonjagenden Fisch zu fangen, und wie sie ganz fest zugreifen müssen, um ihn zu halten. Und gleichermaßen stürzten sie sich auf mich. Um sich ihrem Angriff zu entziehen, genügte es vorerst, daß ich mich duckte, wenn sie dahergebraust kamen. Jedoch nützte das nichts mehr, als ich am Horst saß. Dort bog die Spitze um und neigte sich in einem zwei Meter langen astlosen Stück sogar noch etwas unter die Waagrechte. Hier saß ich im Reitsitz ohne Halt für meine Füße, ganz ungedeckt gegen meine Angreifer. Mehrere Male hatten sie mich mit ihren Schwingen getroffen. Da wehrte ich sie ab, indem ich die Angreifer kurz vor dem Zustoßen durch schnelles Vorstrecken der Faust oder Winken mit dem Taschentuch erschreckte. Aber auf der Hut mußte ich schon sein. Denn die größte Gefahr dieser Angriffe lag nicht so sehr in den Verletzungen, die ich möglicherweise davontragen konnte, sondern vor allem darin, daß das plötzliche Erschrecktwerden mich aus dem Gleichgewicht warf.
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Da blickt der Fischadler |
Die Fischadlermutter saust herab |
Da erkletterte ich kurz nach diesem Tag einen Horst, der auf einem riesigen Hexenbesen angelegt war. Ich hätte ihn dort nicht entdeckt, wenn die Adler ihn nicht selbst durch ihr Auftreten verraten hätten. Der Hexenbesen erwies sich als so umfangreich, daß er gut ein Versteck für zwei Erwachsene hätte sein können. Der größte Teil seiner krankhaft gehäuften Zweige war abgestorben, also trocken. Ich brach mir durch dieses Zweiggewirr zunächst eine Bahn, und es gelang mir mit Mühe, mich auf eine Astgabelung zu schwingen, die kaum Handgelenkstärke hatte. Wenn ich mich hier aufrichtete, konnte ich gerade über den Horstrand schauen. Als Halt dienten hier in der äußersten Spitze der Kiefer lediglich die dünnen abgestorbenen Zweige des Hexenbesens um mich herum, und als Sicherung war ein Seil gedacht, das ich tief unter mir an einem stärkeren Ast befestigt hatte. Was nun geschah, spielte sich in einer Höhe von 33 Metern ab. Ich hatte gerade die Nase über den Horstrand gesteckt, als auch schon einer der beiden alten Adler mit ungeheuerer Schnelligkeit und Wucht mir ins Gesicht stürzte. Aber so wie sich unsere Augenlider ganz unwillkürlich schließen, wenn etwas auf unser Auge zufährt, so war mein rechter Arm vor das Gesicht geschnellt und hatte es im letzten Augenblick gedeckt. Zwar trafen nun die Krallen des Adlers den Arm, zerrissen die Kleidung und brachten mir einige tiefe Wunden bei, aber das Gesicht blieb unverletzt. Und das Gleichgewicht konnte ich gerade noch halten. Jedoch waren diese Augenblicke voll der größten Gefahr, und sie klangen mit ihrer Erregung noch lange in mir nach.
Vom Schreiadler
Wenn ich Ende Juni oder Anfang Juli an den fünfzehn Fischadlerhorsten unseres Waldes die Jungadler beringt hatte, dann wandte ich mich Jahr für Jahr den Schreiadlern zu, bei denen die Jungen viel später ausflogen. Diese Adler waren auch in mehr als zehn Paaren vertreten, und meist suchte ich bei einer Fahrt mehrere Horste auf. Die Adler waren sehr standorttreu, und vor allem hielten sie zum Silmbruch, zum Birkenbruch, zum Bensee, zur Zilbe, zum Spitzen Werder, zu den Fischerbuden, zum Buchtengraben und zum Buchtensee. Kiefern und Fichten, Eichen und Birken, Erlen und Buchen waren ihre Horstbäume, und oft waren ihre Horste dort sehr niedrig angelegt. Auf einer Fichte stand ein Horst nur sechs Meter hoch, und da die Fichte fast bis zum Boden Äste hatte, hätte jede halbwegs gesunde Großmutter diesen Horst besteigen können. Jedenfalls mußte jede Besteigung eines Schreiadlerhorstes gegenüber der eines Fischadlerhorstes wie ein Kinderspiel erscheinen. Da war nichts von einer Gefahr oder einer Strapaze.
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Schreiadler |
Solch ein Schreiadlerhorst stand immer in einer ganz bestimmten Umgebung. Wer sich darauf verstand, der spürte, wo es ein Schreiadlerpaar geben mußte. Der Boden war etwas bruchig, oft war ein kleiner Wassergraben durchgezogen. Es standen Fichten, Birken, Kiefern und Eichen durcheinander. Unten wuchsen Himbeeren und Farne oder auch Brennesseln. Oft war der niedrige Horst schon weithin zu sehen. Er war dann gleich als ein Schreiadlerhorst zu erkennen. Denn diese Adler tragen oft grüne Zweige zum Horst. Und wenn die Zweige frisch waren, dann war der Horst auch sicher besetzt. Meist blickte auch schon ein Köpfchen mit weißem Flaum über das grüne Gezweig. Oft rief ich den jungen Adler an, ehe ich den Adler sah. Ich tat es mit einem leisen Kjück, zu dem ich die Luft einzog. Dann erhielt ich immer eine Antwort. Diese Adler sind im Horstraum außerordentlich ruffreudig, daher rührt ja auch ihr Name. Dann erhielt ich immer eine Antwort. Und dann kam der Blick in den Horst!
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Schreiadler auf der Wiese |
Und dieser Blick in den Horst eines Schreiadlerpaares gibt den Zoologen immer wieder ein Rätsel auf. In den meisten Fällen legt ein Schreiadlerweibchen zwei etwa hühnereigroße, wunderbar braun gefleckte Eier. Es schlüpfen daraus auch oft zwei Jungadler. Aber wenn man in einen Schreiadlerhorst blickt, so hockt darin immer nur ein Jungadler. Wo ist der zweite geblieben? Was wir bis auf den heutigen Tag davon wissen, ist folgendes: "Die jungen Schreiadler schlüpfen in einem Abstand von drei bis vier Tagen. Der erstgeschlüpfte wurde dann in wenigen Tagen der unbewußte Mörder seines jüngeren Geschwisters, und zwar einfach dadurch, daß er von dem Trieb besessen war, immer wieder auf den Kleinen zu kriechen, ihn zu bedecken, von den Fütterungen auszuschließen, ihn auch dann und wann zu schlagen und ihn, den immer matter werdenden kleineren Bruder, allmählich zu erdrücken" (Dr. Wendland). Es ist bisher nur ein einziges Mal geglückt, einen Schreiadlerhorst zu finden, in dem zwei Jungadler bis zum Ausfliegen aufwachsen konnten. Und diesen Fund machte ich an dem Schreiadlerhorst, den ich als allerersten in meinem Leben erkletterte.
Alle Fotos: Georg Hoffmann
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